Schicksalslied von Johannes Brahms


Johannes Brahms wurde am 7. Mai 1833 in Hamburg geboren. Er gehörte zur Romantik, hielt aber stark an der klassischen Tradition fest. Er bekam Musikunterricht von seinem Vater und begann seine musikalische Karriere als Pianist, als er 10 Jahre alt war. 1853 begegnete er Robert Schumann, der das schöpferische Talent von Brahms erkannte. Brahms arbeitete als Pianist und Chordirigent und ließ sich 1872 in Wien nieder. Mit der Uraufführung von Ein deutsches Requiem festigte er seinen Namen als Komponist. Brahms war ein großer Bewunderer von Johann Strauss jr., dies hatte aber wenig Einfluss auf sein Werk. Über viele seiner Werke hängt ein Schleier der Melancholie. Sein Werk besteht aus Symphonien, Klavierkonzerten, einem Violinkonzert und Kammermusik. Er komponierte auch Variationen auf Schumann, Händel und Paganini. Zugleich ließ er Balladen, Intermezzi und Rhapsodien nach. Brahms bildete keine Schule. Dvorak,  Reger und Elgar sind aber von ihm beeinflusst. Er starb am 3. April 1897 an Leberkrebs.

1868 bekam Brahms bei Freunden in Wilhelmshaven ein Gedicht in die Hände: 'Hyperions Schicksalslied' aus Hölderlins Roman Hyperion oder der Eremit in Griechenland. Brahms war von diesem Text tief getroffen und begann am gleichen Tag mit der Komposition seines Schicksalsliedes für Chor und Orchester. Das Werk wurde am 18. Oktober 1871 uraufgeführt, von ihm selbst dirigiert. Hölderlins Gedicht besteht aus drei Strophen, fällt aber in groben Zügen in zwei Teile auseinander: Der erste Teil beschreibt eine liebliche, friedliche Existenz in der Unsterblichkeit, der zweite Teil kontrastiert durch den Tumult sterblichen Lebens. Brahms mildert den Gegensatz durch einen dreiteiligen Aufbau, bei dem das Lied nach dem zweiten Teil zu einer friedlichen Stimmung zurückkehrt. Dies hängt ganz mit seiner Vorliebe für die Romantik zusammen.

Das Werk beginnt mit einer klaren, glühenden Introduktion des Orchesters. Die Altstimmen setzen das Gedicht ein, danach fallen die anderen Stimmen harmonisch ein. Ein dissonanter Akkord leitet den zweiten Teil in C-Moll ein. Der ganze Chor setzt ein und erhebt eine bittere Klage wegen des menschlichen Leidens, der Unruhe und des Todes. In einem wirbelnden Dreivierteltakt verwendet Brahms seine Handelsmarke: Crossrhythms. Der Chor stirbt weg unter den Worten "Jahr lang ins Ungewisse hinab" und das Orchester hebt einen Klagesang an, der scheinbar das Werk beendet. Aber, wie gesagt, stattdessen kehrt Brahms zum Eröffnungsteil zurück, so dass ein friedliches und sogar für Brahms ungewohnt schönes Ende entsteht.


Dr. W.O. Deutsch schreibt über Brahms' Schicksalslied:

In zwei seiner großen Werke und einigen seiner Lieder hat Brahms sich mit dem Motiv des Unbehaustseins auseinandergesetzt, und es ist für ihn dort konstitutives Element von Menschsein, also nicht nur Tragik seines persönlichen Lebens. Ich denke hierbei vor allem an die Sätze aus dem Schicksalslied: "Doch uns ist gegeben, auf keiner Stätte zu ruhn" und aus dem Deutschen Requiem: "Denn wir haben hie keine bleibende Statt". Dazu gehört u.a. auch das Lied Kein Haus, keine Heimat (op. 94, nr.5).

Das Schicksalslied, dessen Text Brahms von Hölderlin nimmt, lebt textlich und musikalisch von dem Kontrast zwischen dem Göttlichen und dem Menschlichen, zwischen droben und unten, zwischen Himmel und Erde. Die Götter: "im Licht, schicksallos, ewig blühend, in stiller ewiger Klarheit". Dagegen die Menschen: "ohne ruhende Stätte, schwindend, fallend, leidend, blind, ins Ungewisse hinab". Brahms verarbeitet diesen Kontrast musikalisch: Die Dimension des Göttlichen, allen Spannungen enthoben, repräsentiert in reinen Schwebeakkorden (Geigen con sordino!) in Es-Dur; der Chor singt den Text wie eine Hymne; davon abgesetzt durch schroffe verminderte Akkorde und heftige abrupte Bewegung in Orchester und Chor die menschliche Dimension: das "Fallen von Klippe zu Klippe", die Ruhelosigkeit, das Geworfensein, die Vergänglichkeit, das "Hinab" des Grabes: alles ist musikalisch zu hören:

Die beiden Welten stehen sich unvermittelt gegenüber, das Göttliche hat nicht teil, nimmt nicht Anteil am menschlichen Ergehen. Der Gott, der nicht leiden kann, leidet auch nicht mit - Brahms hat, das sei an dieser Stelle schon einmal vorwegnehmend gesagt, keine Christologie! Brahms geht über Hölderlin hinaus, wenn er sein Werk nicht bei dem "Hinab" des Grabes enden läßt, sondern in der Sphäre der "Himmlischen": dorthin kehrt die Musik wortlos zurück, das ist der Fluchtpunkt der Brahmsschen Sehnsucht: "Ich sage ... eben etwas, was der Dichter nicht sagt", schreibt er dazu in einem Brief. Und nicht zufällig überschreibt er die erste Partiturzeile "langsam und sehnsuchtsvoll", "lento e languido".

('Der Tod und Johannes Brahms'
http://www.geocities.com/Vienna/7710/brahms.html)