Stockholm - 7. Oktober - dpa/ap - Die 57-jährige
Jelinek bekomme die Auszeichnung "für den musikalischen Fluss von Stimmen
und Gegenstimmen" in ihren Werken, begründete die Schwedische Akademie in
Stockholm am Donnerstag ihre Entscheidung.
Jelinek enthülle "mit einzigartiger sprachlicher Leidenschaft die
Absurdität der sozialen Klischees".
"Natürlich freue ich mich auch", sagte
Jelinek der Nachrichtenagentur APA, "aber ich verspüre eigentlich mehr
Verzweiflung als Freude."
Jelinek ist die erste Österreicherin, die den Literatur-Nobelpreis erhält.
Sie betrachte ihn nicht "als Blume im Knopfloch für Österreich", sagte
Jelinek, die oft die mangelnde Auseinandersetzung ihrer Landsleute mit der
Nazi-Vergangenheit kritisierte.
In Büchern wie "Die Klavierspielerin" oder "Lust" und Dramen wie "Raststätte"
oder "Ein Sportstück" scheut
Jelinek nicht vor Obszönitäten zurück.
Auf dem Plakat war ein Geige zu sehen und darunter wurde suggestiv gefragt,
ob man denn nun Peymann und
Jelinek liebe - "oder Kunst und Kultur".
Jelinek selbst hat nach der Wahl 2000, nach der die "Freiheitlichen" eine
Koalition mit den Konservativen einging, wegen des "geistigen Klimas" in
Österreich ein Bühnenverbot für ihre Stücke verhängt.
Jelinek will nicht zur Nobelpreis-Verleihung - Die österreichische
Nobelpreisträgerin Elfriede
Jelinek sagte im schwedischen Rundfunk, sie werde zur Verleihung am 10.
Dezember wegen Krankheit nicht nach Stockholm kommen.
Die Entscheidung für
Jelinek bedeutet einen Triumph des poetischen über das politische Prinzip.
Obwohl
Jelinek bis zum heutigen Tage mit ihrer Mutter unter einem Dach lebt, hat
sie nie einen Hehl aus dem belastenden Verhältnis gemacht.
Früh hat
Jelinek Ballett-, Orgel- und Geigenunterricht bekommen.
Nach dem Abitur in einer Klosterschule - ihre Aversion gegen die
frömmelnden Vertreter der katholischen Kirche mag darauf zurückzuführen sein -
studierte
Jelinek am Wiener Konservatorium Klavier und Komposition.
In dem für
Jelinek typischen Stakkatostil heißt es dort: "Die Mutter will alles
später.
Bei
Jelinek klinge die Vereinigung von Mann und Frau, als werde "ein Bleistift
in eine Federtasche gesteckt".
Er vermisste die Gefühle, die für die Liebesdarstellung doch so wichtig
seien, ignorierend, dass
Jelinek in ihrem gesamten literarischen und dramatischen Schaffen gegen
die Gefühle, gegen die Liebe, gegen die Natur (die es nicht gibt) anschreibt.
Er trampelte,
Jelinek rezitierend, auf dem Textteppich herum, der auf die Bühne
geschrieben war.
Noch ist
Jelinek nicht kanonisiert, noch ist das ein unabgeschlossener Prozess.
Zwischen Dadaismus und Brechtschem Lehrstück ist
Jelinek eine hohe politische Moralistin, eine der Letzten ihrer Generation,
die - unkorrumpiert - nicht aufhört, die Finger in die nicht heilen wollenden
Wunden der Gesellschaft zu legen.
Übrigens:
Jelinek war niemals Kultfigur der Frauenbewegung, weil ihr Ansatz und ihre
Analysen übergreifend gesellschaftspolitischen Charakter haben.
Jelinek zeigt, wie die Klischees der Unterhaltungsindustrie ihren Einzug
in das Bewusstsein der Menschen halten und ihren Widerstand gegen
klassenbedingte Ungerechtigkeit und geschlechtliche Unterdrückung lähmen.
Jelinek
reagiert mit einem Aufführungsverbot ihrer Stücke in Österreich.
Mit der ihr eigenen Sprachversessenheit gießt
Jelinek
Alltagswirklichkeit in Österreich (und nicht nur dort) in eine enthüllende
Satire.
Dabei ist
Jelinek
nicht gerade eine Autorin, die auf Harmonie aus ist.
Jelinek habe
den Preis "für den musikalischen Fluss von Stimmen und Gegenstimmen in Romanen
und Dramen, die mit einzigartiger sprachlicher Leidenschaft die Absurdität und
zwingende Macht der sozialen Klischees enthüllen", hieß es zur Begründung.
Jelinek
sagte im schwedischen Rundfunk, die Verleihung des Nobelpreises sei eine "überraschende
und große Ehre".
Breite Aufmerksamkeit hatte
Jelinek, die
sich auch als Lyrikerin und Dramatikerin einen Namen gemacht hat, bereits mit
ihrem Romandebüt "wir sind lockvögel, baby" im Jahr 1970 erregt.
Als ihr Hauptwerk hatte
Jelinek den
Anfang 1995 vollendeten Roman "Die Kinder der Toten" bezeichnet, den sie
selbst als "eine Gespenstergeschichte zur österreichischen Identität"
umschrieben hatte.
Jelinek habe den Preis "für den musikalischen Fluss von Stimmen und
Gegenstimmen in Romanen und Dramen" erhalten, hieß es zur Begründung.
Jelinek hat die Entgegennahme des Literatur-Nobelpreises als "überraschende
und große Ehre" bezeichnet.
Jelinek sei eine "ganz ungewöhnliche, völlig aus dem Rahmen fallende,
radikale und extreme Schriftstellerin und in Folge dessen höchst umstritten",
sagte Reich-Ranicki.
Jelinek habe dabei vor allem "die Konsumgesellschaft Österreich kritisiert,
die nicht ihre eigene Vergangenheit aufgearbeitet hat".
Die Akademie habe bei der Entscheidung nicht darauf gesehen, dass
Jelinek eine Frau ist.
Jelinek ist die zehnte Frau, die den Preis erhält.
Nach eigenen Worten kann sich
Jelinek nicht uneingeschränkt über den Preis freuen, weil sie nicht nur
für ihre eigenen Verdienste, sondern auch als Frau ausgezeichnet worden sei.
Jelinek wurde bereits mit Dutzenden Literaturpreisen ausgezeichnet.
Als junges Mädchen hatte
Jelinek sich zunächst der Musik zugewandt und studierte am Wiener
Konservatorium Orgel, Blockflöte und Komposition.
Jelinek arbeitet im Theater viel mit deutschen Regisseuren zusammen, so
Claus Peymann, Einar Schleef und Christoph Schlingensief.
Die Schwedische Akademie in Stockholm teilte mit,
Jelinek habe den Preis "für den musikalischen Fluss von Stimmen und
Gegenstimmen in Romanen und Dramen" erhalten.
Jelinek bezeichnete die Auszeichnung als "überraschende und große Ehre".
Jelinek sagte weiter, sie betrachte den Nobelpreis nicht "als Blume im
Knopfloch für Österreich".
Jelinek setzte sich in ihren Werken mit Frauen- und Fremdenfeindlichkeit,
Intoleranz und ökonomischer Unterdrückung auseinander.
"Meine Bewunderung für ihr Werk hält sich in Grenzen", kommentierte
Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki die Preisvergabe an
Jelinek: "Meine Sympathie für ihren Mut, ihre Radikalität, ihre
Entschlossenheit und ihre Wut ist enorm."
"Ihre Texte sind keine Beruhigungstabletten", äußerte sich der Regisseur
Christoph Schlingensief, der mehrfach mit
Jelinek zusammengearbeitet hatte.
"Wenn man den Preis als Frau bekommt, dann kriegt man ihn eben auch als
Frau", sagte
Jelinek.
Schon kommen erste Glückwünsche aus den Reihen der Regierungskoalition an
Frau
Jelinek.
Aber man kann Frau
Jelinek trotzdem loben, wenn sie Preise im Ausland bekommt.
Ihre Stücke ließ die
Jelinek nicht mehr in Österreich spielen, sondern in Deutschland, wo sie
damit mehr Erfolg und weniger Ärger hatte.
In schlechtester Erinnerung sind jene Wahlplakate der Wiener FPÖ, die
polemisch eine sehr rhetorische Frage stellten: Lieben Sie
Jelinek oder Kunst und Kultur?
Das Besondere an der politischen, der feministischen Schriftstellerin
Jelinek ist jedoch: Sie bleibt in jeder Zeile Dichterin, das heißt: Mit
keiner Zeile verriet sie den Anspruch der Poesie an ideologische Forderungen
des Tages.
Der Vater, Friedrich
Jelinek, war Chemiker und vor 1945 in kriegsdienlicher Forschung tätig,
darum vor antisemitischer Verfolgung einigermaßen geschützt.
Er empfinde "große Freude" für
Jelinek, die sich durch ihre "unerhörte Sprache" und einen "völlig
eigenwilligen Stil" auszeichne.
Ähnlich äußerte sich der Literaturwissenschaftler Gert Mattenklott: Mit
Aggression und Grellheit provoziere
Jelinek in ihren feministischen Werken heftigen Widerspruch.
Diese Art von politisch aufrührender und aufwühlender Literatur, die nicht
auf Globalisierung setzt, sondern auf Tiefensondierung -
Jelinek ist eine Künstlerin altmodischer Art".
Besonders verdient um
Jelinek hat sich Claus Peymann gemacht, nicht nur als Regisseur, sondern
auch als Intendant.