Dokumentation (dpa)

Auszüge aus der Begründung der Akademie

 

Die Schwedische Akademie hat die Vergabe des Literatur-Nobelpreises 2004 an die Österreicherin Elfriede Jelinek in Anmerkungen zu ihrer biografischen und literarischen Entwicklung wie folgt begründet:

"Der Nobelpreis in Literatur des Jahres 2004 wird der österreichischen Elfriede Jelinek verliehen für den musikalischen Fluss von Stimmen und Gegenstimmen in Romanen und Dramen, die mit einzigartiger sprachlicher Leidenschaft die Absurdität und zwingende Macht der sozialen Klischees enthüllen. (...) 1970 entstand der satirische Roman „wir sind lockvögel baby!“.

Er trägt ähnlich wie der folgende Roman „Michael. Ein Jugendbuch für die Infantilgesellschaft“ (1972) den Charakter einer sprachlichen Widerstandshandlung, die gegen die Unterhaltungskultur und ihre verlogenen Vorstellungen von einem guten Leben gerichtet ist. (...)

Diese Romane („Die Liebhaberinnen“ (1974), „Die Ausgesperrten“ (1980) und der 1983 vor autobiografischem Hintergrund verfasste Roman „Die Klavierspielerin“ stellen im Rahmen ihrer Problematik jeder für sich eine Welt ohne Gnade dar, in der der Leser mit einer festgefahrenen Ordnung von Gewalt und Unterwerfung, Jäger und Beute konfrontiert wird.

Jelinek zeigt, wie die Klischees der Unterhaltungsindustrie ihren Einzug in das Bewusstsein der Menschen halten und ihren Widerstand gegen klassenbedingte Ungerechtigkeit und geschlechtliche Unterdrückung lähmen.
In „Lust“ (1989) überführt Jelinek ihre Gesellschaftsanalyse in grundlegende Zivilisationskritik, wenn sie die sexuelle Gewalt gegen Frauen als Grundmuster unserer Kultur beschreibt.(...) Jelinek hat mit leidenschaftlicher Wut Österreich gegeißelt, das sie in dem phantasmagorischen Roman „Die Kinder der Toten (1995)“ als Totenreich darstellt. (...)

Das Genre der Texte Jelineks ist oft schwer zu bestimmen. Sie schweben zwischen Prosa und Poesie, Beschwörung und Hymne, sie enthalten Theaterszenen und filmische Sequenzen. Was sie in den Stücken der letzten Jahre auf die Bühne stellt (...) sind keine Charaktere, sondern „Sprachflächen“, die einander konfrontieren.

Das bisher letzte publizierte dramatische Werk Jelineks, die so genannten „Prinzessinnen-Dramen“ („Der Tod und das Mädchen I-V“, 2003), variiert ein Grundthema der schriftstellerischen Tätigkeit, das Unvermögen der Frau voll und ganz in einer Welt zum Leben zu gelangen, in der sie von stereotypen Bildern verdeckt wird.

Gleichzeitig mit ihrer belletristischen Tätigkeit hat sie sich als unerschrockene Gesellschaftskritikerin einen Namen gemacht, die auf ihrer Homepage ständig bereit ist, brennendheiße Themen zu kommentieren."