Erich Kästner, "Die Entwicklung der Menschheit" | |
Vorab: Woran denken Sie bei diesem Titel? Ergänzen Sie folgenden Satz: "Früher [Verb im Imperfekt] die Menschen ... , jetzt [Verb im Präsens] ... ." | |
Die Entwicklung der Menschheit Vortrag Einst haben die Kerls auf den Bäumen gehockt, Behaart und mit böser Visage. Dann hat man sie aus dem Urwald gelockt Und die Welt asphaltiert und aufgestockt, Bis zur dreißigsten Etage. Da saßen sie nun, den Flöhen entflohn, In zentralgeheizten Räumen. Da sitzen sie nun am Telefon, Und es herrscht noch genau derselbe Ton Wie seinerzeit auf den Bäumen. Sie hören weit. Sie sehen fern. Sie sind mit dem Weltall in Fühlung. Sie putzen die Zähne. Sie atmen modern. Die Erde ist ein gebildeter Stern Mit sehr viel Wasserspülung. Sie schießen die Briefschaften durch ein Rohr. Sie jagen und züchten Mikroben. Sie versehn die Natur mit allem Komfort. Sie fliegen steil in den Himmel empor Und bleiben zwei Wochen oben. Was ihre Verdauung übriglässt, Das verarbeiten sie zu Watte. Sie spalten Atome. Sie heilen Inzest. Und sie stellen durch Stiluntersuchungen fest, Dass Cäsar Plattfüße hatte. So haben sie mit dem Kopf und dem Mund Den Fortschritt der Menschheit geschaffen. Doch davon mal abgesehen und Bei Lichte betrachtet sind sie im Grund Noch immer die alten Affen. |
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Fragen zum Gedicht 1. Welche realen Entwicklungen kommen in diesem Gedicht vor? 2. Was beruht auf realen Entwicklungen, ist aber übertrieben? 3. Was ist völlig unmöglich? 4. Was ist Kästners ‘Botschaft’? | |
Erich Kästner "Der Dichter wurde 1899 in Dresden geboren, studierte Germanistik und arbeitete als Journalist. Schon seit frühester Kindheit war der junge Kästner eigentlich ein Außenseiter - einerseits aufstiegsorientierter Schüler, der aus dem kleinbürgerlichen Milieu heraus wollte, andererseits ein scharfer Kritiker der verlogenen Formen und Formeln der bürgerlichen Gesellschaft. Diese Ambivalenz zieht sich auch durch sein Werk. |
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Während er in seinen Lyrikbänden (Herz auf Taille, Lärm im Spiegel, Ein Mann gibt Auskunft und Gesang zwischen den Stühlen) mit Satire und Ironie die herrschenden Zustände, die verlogenen Gesellschaftsformen und die Torheit und Kurzsichtigkeit seiner erwachsenen Zeitgenossen attackiert, zeigt er in seinen Jugendbüchern (Das doppelte Lottchen, Emil und die Detektive, Pünktchen und Anton, Das fliegende Klassenzimmer u.a.m.), wie man ‘Musterschüler’ und ‘doller Bengel’ gleichzeitig sein kann. Als Motor seines Schaffens sieht er "die Hoffnung, daß die Menschen vielleicht doch ein wenig, ein ganz klein wenig besser" werden könnten, wenn man sie einerseits oft genug beschimpft, bittet, beleidigt und auslacht, wenn man ihnen andererseits positive Figuren als Identifikationsmodelle präsentiert, wie dies in seinen Kinderbüchern geschieht. Mit diesem Anliegen wird er letztlich zum Schulmeister und Moralisten, der einen Humanisierungsprozeß der Gesellschaft in Gang setzen wollte.1974 starb Kästner in München, ohne sein Ziel erreicht zu haben." (nach Markus Hoffmann, Bonn)Kästner gehört zur literarischen Richtung der Neuen Sachlichkeit (1920-1933): eine Reaktion auf den pathetischen, gefühlsbezogenen Expressionismus. Man versucht in einer nüchternen, realistischen Weise mit unpoetischem Vokabular gesellschaftliche Missstände und Zeiterscheinungen zu kritisieren. Vertreter sind Bertolt Brecht, Erich Kästner und Kurt Tucholsky. Eine kleine Kostprobe aus Kästners Schaffen:
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des Deutschen Historischen Museums Eine witzige Zeichnung (Erörtern Sie den Zusammenhang mit Kästners Gedicht.) | |
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