Hölderlin, Hyperions Schicksalslied


Das Angenehme dieser Welt hab' ich genossen,
Die Jugendstunden sind, wie lang! wie lang! verflossen,
April und Mai und Julius sind ferne,
Ich bin nichts mehr, ich lebe nicht mehr gerne!

(der späte Hölderlin)



Friedrich Hölderlin, 1770 in Lauffen am Neckar geboren, studierte Theologie am Tübinger Stift. Dort lernte er die idealistischen Philosophen Hegel, Fichte und Schelling kennen. Er wurde Hofmeister, Hauslehrer bei der Bankierfamilie Gontard in Frankfurt. Die französische Revolution beeindruckte ihn stark. 1802 werden die ersten Zeichen des Wahnsinns bei ihm festgestellt. Die zweite Hälfte seines Lebens verbringt er 'geistig umnachtet', verpflegt von der Schreinerfamilie Zimmer, in einem Turm in Tübingen. Er stirbt 1843.

Hölderlin gilt als der größte lyrische Dichter in deutscher Sprache, neben Goethe der tiefsinnigste. Die Literaturgeschichte situiert ihn zwischen Klassik und Romantik (1798-1835).
In seinen Liedern, Hymnen, in seiner Prosa und seinen dramatischen Fragmenten (u.a. Der Tod des Empedokles) sucht Hölderlin im Anschluss an die griechische Antike die Lebenseinheit mit den göttlichen Mächten zu erneuern: "Eines zu sein mit Allem, was lebt!" Das alte Hellas verkörpert für ihn das Ideal der harmonischen Einheit zwischen Natur, Religion, Schönheit und Gefühl.

Friedrich Hölderlin


In seinem Briefroman Hyperion oder der Eremit in Griechenland (1797-1799) stellt Hölderlin sein persönliches Schicksal, seine Trauer über die erbärmliche Wirklichkeit und seine Sehnsucht nach einem Deutschland, in dem die Menschen in einer Einheit mit Gott und Natur leben, am Schicksal eines griechischen Jünglings (Hyperion) dar.



Hyperions Schicksalslied   


    Ihr wandelt droben im Licht
      Auf weichem Boden, selige Genien!
        Glänzende Götterlüfte
          Rühren euch leicht,
             Wie die Finger der Künstlerin
                Heilige Saiten.

    Schicksallos, wie der schlafende
      Säugling, atmen die Himmlischen;
        Keusch bewahrt
          In bescheidener Knospe,
            Blühet ewig
              Ihnen der Geist,
                Und die seligen Augen
                  Blicken in stiller
                    Ewiger Klarheit.

    Doch uns ist gegeben,
      Auf keiner Stätte zu ruhn,
        Es schwinden, es fallen
          Die leidenden Menschen
            Blindlings von einer
              Stunde zur andern,
                Wie Wasser von Klippe
                  Zu Klippe geworfen,
                    Jahr lang ins Ungewisse hinab.



Fragen zum Gedicht

1.  Nach Garmt Stuiveling erfährt der Romantiker alles in Gegensätzen. Welche Gegensätze finden Sie hier?

2.  Inwiefern unterstützt die Form (visuell und akustisch) den Inhalt?

3.  Erklären Sie anhand dieses Gedichts, warum Hölderlin zwischen Klassik und Romantik situiert wird.

Mehr von und über Hölderlin: Hölderlin Homepage


Schicksalslied-Vertonung von Johannes Brahms (Kurzinformation)


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